
Geht es nur mir so, oder scheint Shinrin Yoku – zu Deutsch “Waldbaden” – während der Corona-Pandemie nicht nur extrem bekannt, sondern auch beliebt geworden zu sein?
Ich frage mich, was wirklich dahintersteckt und wage ein Experiment: 3 Stunden lang gehe ich in einem professionellen Shinrin Yoku-Kurs in den Wald. Und so viel kann ich schon verraten: Es war eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung. Aber lass uns von vorn beginnen.
Es war die Musik, die mich zum Shinrin Yoku führte
Shinrin Yoku ist tatsächlich gar kein neuer Trend. In Japan wird das „Waldbaden“ schon seit den 80ern intensiv praktiziert. Doch hier in Deutschland hat das Thema gefühlt erst in Zeiten von Covid-19 so richtig Fahrt aufgenommen.
2017 hörte ich zum ersten Mal von Shinrin Yoku: Damals veröffentlichte meine britische Lieblingsband Enter Shikari ein gleichnamiges Lied im Album “The Spark”. Zuerst konnte ich mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen. Ich musste erstmal googeln und las mich ins eingedeutschte “Waldbaden” ein. Diese Übersetzung finde ich übrigens bis heute ziemlich irreführend. Viel treffender beschreibt es Rou Reynolds in den Lyrics zu “Shinrin-Yoku”:
Surrounded
Sunk deep in the dense embrace of the forest
I imagine this is the polar opposite of suffocation
My lungs seem to gain extra capacity here
And I feel like an empty inbox
As I contemplate the ultimate assault course
The roots, the stumps, the branches
I squint into eternity
Eintauchen in die Waldatmosphäre
Für mich als Dorfkind ist dieses Abtauchen zwischen den Bäumen, das hier so poetisch beschrieben wird, ehrlich gesagt nichts Neues. Immerhin bestand ein Großteil meiner Kindheit daraus, im naheliegenden Wald auf Bäume zu klettern und die Welt aus der Eichhörnchenperspektive zu betrachten.
Doch später, als Teenager und in meinen Zwanzigern, habe ich den Wald aus den Augen verloren. Inzwischen verbrachte ich mein Leben fast nur noch in Innenräumen. Und fand das lange Zeit überhaupt nicht schlimm. So geht es ganz vielen Menschen, vielleicht auch dir.
Der Song von Enter Shikari erinnerte mich vor 6 Jahren daran, den Wäldern meiner fränkischen Heimat eine zweite Chance zu geben. Seitdem bin ich wieder öfter im Wald. Ich liebe die Ruhe, die mich dort umgibt und sammle Inspiration für meine naturverbundene Kunst.


Überhaupt gehen seit 2020 ja generell wieder mehr Menschen raus in die Natur direkt vor der Haustür – Covid-19 lässt grüßen. In dieser Zeit ist das Angebot an Shinrin Yoku-Kursen gefühlt explodiert. Doch ich frage mich, wer denn überhaupt an diesen Kursen teilnehmen soll? Reicht es nicht mehr, einfach nur so im Wald spazieren zu gehen?
Ich gebe zu: Das hat mich neugierig gemacht. Und im Herbst 2022 war es dann soweit. Ich buchte meinen ersten Waldbaden-Kurs und ging gemeinsam mit 20 anderen Naturliebhabern in den Wald.
Was im Waldbaden-Kurs passierte, hatte ich mir ehrlich gesagt anders vorgestellt
Natürlich liefen wir nicht einfach nur durch den Wald. Es gab ein paar Übungen, mit denen uns die Kursleiterin auf die Waldatmosphäre und eine achtsame Konzentration auf das Hier & Jetzt einstimmen wollte: Ein kleines Picknick auf dem Waldboden zum Beispiel oder 10 Schweigeminuten mit geschlossenen Augen, um die Naturgeräusche besser wahrzunehmen.
Doch long story short: Leider war die Veranstaltung für mich persönlich ein ziemlicher Reinfall.
Die meiste Zeit fühlte ich mich von den vielen Übungen und der Gesellschaft der anderen Kursteilnehmer gestört. Manche wollten gelinde gesagt einfach nicht ihre Klappe halten. Sie führten private Gespräche, die bei einem Spaziergang unter 4 Augen wesentlich besser aufgehoben gewesen wären. Auch der Altersdurchschnitt war sehr hoch, was dazu führte, dass ich mich mit Anfang 30 ein wenig fehl am Platz fühlte.
Natürlich ist das alles auch eine Typfrage. Ich kann mir gut vorstellen, dass es manchen Menschen schwer fällt, einfach mal abzuschalten. Hier kann das angeleitete Waldbaden eine große Hilfe sein.
Immerhin lernte ich etwas ganz Wichtiges in diesen 3 Stunden:
Ich bin im Wald am liebsten für mich allein
Warst du auch schon bei einem Shinrin Yoku-Kurs? Lass mir gern deine persönliche Erfahrung in einer kurzen Nachricht da! Ich freue mich auf unseren Austausch.